Tai Chi Chuan
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Wu Tai Chi Chuan

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» Über die Schwierigkeit, Tai Chi-Fachtermini zu übersetzen «

Tai Chi Chuan war lange Zeit eine geheim geübte und gelehrte Kampfkunst. Traditionell wurde das Tai Chi Chuan im klassischen Lehrer-Schüler-Verhältnis und innerhalb der Familie unterrichtet. Der Unterricht erfolgte täglich viele Stunden und führte zur systematischen Aneignung des praktischen und theoretischen Wissens. Fachliteratur im modernen Sinne wurde bei dieser Art der Ausbildung nicht benötigt (Bödicker, Sievers, China im Wandel, 1998, Ratingen). Im klassischen China neigte man eher zum Tradieren als zum Publizieren. Fachliteratur im eigentlichen Sinne wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts mit der größeren Verbreitung des Tai Chi außerhalb der eingeweihten Kreise entwickelt.

Ein Tai Chi-Schüler in Deutschland lernt zumeist in einem wöchentlichen Kurs. Die wenige Unterrichtszeit wird meist für die Praxis des Erlernens der jeweiligen Form verwendet. Die Zeit für die reflektierte Vermittlung von Hintergrundinformationen, Begrifflichkeiten und Theorie ist kurz. So wundert es nicht, daß der interessierte Tai Chi-Schüler auf das große Angebot von Tai Chi-Literatur, daß es mittlerweile auch in Deutschland gibt, zurückgreift. Die Qualität der Bücher ist jedoch sehr unterschiedlich und gerade die unkommentierte Übersetzung von Tai Chi-Fachtermini ist ärgerlich. Die falsche, sinnentstellende Verwendung oder der Glaube an nur eine richtige Übersetzung für die gesamte Tai Chi-Welt kann den Schüler selbst stark verwirren oder eine Kommunikation mit Schülern anderer Stile erschweren bzw. verhindern. Dabei ist es doch leicht einsichtig, daß die Übersetzung chinesischer Fachtermini große Schwierigkeiten bereiten muß: Unter anderem sind folgende Problembereiche immer wieder zu finden:

  1. Aufgrund der völlig anderen Konstruktion der chinesischen Sprache und einem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund ist es sehr schwer, direkte Entsprechungen für einzelne Wörter zu finden. Man denke nur an Begriffe wie Dao oder Qi.
  2. Tai Chi-Fachtermini sind zumeist alte chinesische Begriffe. Auch chinesische Begriffe unterliegen im Laufe der Zeit einem Bedeutungswandel. Ein moderner Übersetzer, der die alten Bedeutungen nicht kennt, wird sie falsch oder ungenau übersetzen.
  3. Tai Chi-Fachtermini können Wörter der Alltagssprache sein, die im Tai Chi-Zusammenhang aber einen anderen Sinn oder eine andere Bedeutung haben. Ein Übersetzer muß also umfassende Kenntnis nicht nur der Sprache, sondern auch des Tai Chi Chuan besitzen, oder Zugang zu einem Tai Chi-Experten haben.
  4. Auch wenn ein Übersetzer Fachtermini korrekt übersetzt, kann der neue Begriff im Deutschen mißverständlich sein. Tai Chi-Fachtermini sind häufig bildhafte oder philosophische Begriffe mit kulturinternen Applikationen. Für ein richtiges Verständnis des deutschen Begriffes ist dies unbedingt zu berücksichtigen und eine begründete und kommentierte Übersetzung ist zu empfehlen.
  5. Tai Chi Chuan ist zweifellos eine sehr alte Kulturtechnik mit vielen parallelen Traditionslinien (z.B. die 5 Familien Chen, Yang, Wu, Wu(Hao) und Sun). Trotz aller Normierungsversuche können einzelne Fachtermini, z.T. auch von Lehrern einer Traditionslinie, unterschiedlich verwendet werden.
    Mit diesen und vielen kleinen Schwierigkeiten mehr läßt sich leicht erklären, warum man in der deutschsprachigen Tai Chi-Literatur so häufig für einen chinesischen Fachterminus so viele z.T. auch extravagante deutsche Übersetzungen findet. Dies soll im folgenden an 3 Beispielen erläutert werden:

I. Yemafenzong

Yemafenzong ist eine Bewegung der Tai Chi-Form. Folgende Beispiele für Übersetzungen wurden gefunden:

  • Das Wildpferd schüttelt die Mähne
  • Des Pferdes Mähne gleichmäßig teilen
  • Die Mähne des Pferdes teilen
  • Dem Pferd den Hals tätscheln


Anscheinend sind sich die Übersetzer über das Pferd bzw. Wildpferd (Yema) einig, jedoch nicht über die Frage, ob geschüttelt, geteilt oder getätschelt wird und wer den nun die Mähne bzw. den Hals schüttelt, teilt bzw. tätschelt. Zumeist ist es der Tai Chi-Übende, der dem Wildpferd die Mähne teilt. Diese Form der Übersetzung ist aufgrund der chinesischen Grammatik jedoch fraglich. Die Struktur Yemafenzong ist eine typische grammatikalische Konstruktion im Chinesischen und muß als Yema Fenzong gelesen werden. Yema, d.h. das Wildpferd (ye heißt "Wild" und ma heißt "Pferd", ist das Subjekt das Fenzong betreibt. Fenzong ist eine Verb-Objekt-Konstruktion. Fen heißt teilen und Zong ist die Mähne. In der Zusammensetzung Fenzong ist jedoch " Mähne schütteln" gemeint. In diesem Fall findet sich also eine optimale Übersetzung, wenn man die chinesische Grammatik berücksichtigt und nicht Zeichen für Zeichen übersetzt (siehe auch Tai Chi Magazin Vol. 20. No.5 S. 38, 1996, Los Angeles): Das Wildpferd schüttelt die Mähne.

II. Lü

Lü ist eine der acht Grundtechniken des Tuishou, dem Pushhands. Zumeist wird Lü mit ziehen übersetzt. Doch welche Qualität des Ziehens ist gemeint. Manchmal findet man an dieser Stelle den Hinweis, Lü habe so ausgeübt zu werden, wie man einen Seidenfaden aus dem Kokon zieht, um ihn anschließend zu verspinnen. Bedauerlicherweise haben die meisten Europäer wenig Erfahrung beim Ziehen von Seidenfäden, doch immerhin sagt dieses Bild doch, daß man nicht zu schnell ziehe, sonst reißt der Faden; und nicht zu langsam, sonst verknäult er sich. Das hilft, doch nicht sehr, denn was ist nicht zu schnell und nicht zu langsam beim Pushhands, wie greife ich den Faden bzw. Partner oder führe ich ihn nur sanft?

III. Yao

Der Begriff Yao wird als Taille oder Hüfte übersetzt. Im Wörterbuch (Das neue chinesisch-deutsche Wörterbuch, 1986, Hongkong) finden sich Taille, Hüfte, Hosenbund und Mitte als Übersetzung, aber im Tai Chi ist ganz sicher, daß Taille oder Hüfte gemeint ist. Gerade an diesem "Taille oder Hüfte" entbrennt aber unter "Tai Chi-Experten" immer wieder eine heftige Diskussion. In dem bebilderten Wörterbuch "Illustriertes Chinesisch-Deutsches Kurzwörterbuch (1989, Honkong)" findet sich auf Seite 14 eine Abbildung eines Menschen mit einem Pfeil auf die Stelle zwischen Beckenknochen und untersten Rippenbogen mit der Erklärung: Hüfte. Im deutschen Sprachraum würde man diesen Bereich eher als Taille bezeichnen. Fragt man Chinesen nach Yao, so verweisen sie in der Regel auf den Bereich ohne Knochen zwischen Becken und Rippenbogen. Yao bezeichnet also einen größeren Bereich, für den es keine direkte Übersetzung ins Deutsche gibt. Es ist also unbedingt notwendig, die Erklärungen seines Lehrers zu den Begriffen Hüfte oder Taille genau zu studieren, da sie durchaus unterschiedlich verwendet werden können.

Mit diesen drei kurzen Beispielen sollte nicht nur gezeigt werden, wie die Übersetzung von Tai Chi-Fachtermini Schwierigkeiten aufwerfen kann, sondern auch, daß diese Schwierigkeiten sehr unterschiedlicher Natur sein können. Da eine Normierung der Tai Chi-Fachtermini im Deutschen kaum wahrscheinlich ist, ist für den interessierten Tai Chi-Übenden die Kenntnis der Originale oder aber eine kommentierte Übersetzung und das Wissen um davon abweichende Übersetzungen von Vorteil. Da die chinesische Aussprache ein großes Problem darstellt ist das Sammeln, Kommentieren und Veröffentlichen von Übersetzungen der Tai Chi-Fachtermini eine wichtige Aufgabe für die Zukunft des Tai Chi in Deutschland.