Tai Chi Chuan
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Wu Tai Chi Chuan

» Üben und Wiederholen «
» Eine wichtige traditionelle Unterrichtsform «

Von Dr. Martin Bödicker
(Schüler von Ma Jiangbao und Autor des Buches "China im Wandel - die Zeit der großen Tai Chi-Meister")

Ein jeder, der schon einmal den Unterricht eines guten chinesischen Tai Chi-Lehrers mit einer klassischen Ausbildung genossen hat, wird - manchmal erstaunt - den Aufbau des Unterrichts verfolgt haben. Erstes Ziel ist es, die Bewegungen der Form, ihre Reihenfolge und ihren Detailreichtum auswendig zu lernen und zu üben, bis die selbständige Wiedergabe problemlos möglich ist. Es geht im Unterricht größtenteils darum, sich Information zu merken und durch fortwährende Wiederholung über einen oft jahrelangen Zeitraum zu verinnerlichen. Diese Form des Lernens wird von bekannten Tai Chi-Lehrern immer wieder betont:

Yang Chengfu: "Für Schüler ist die Anleitung eines guten Lehrers und die Diskussion mit Freunden über ihre Fähigkeiten und Techniken nötig, aber die wichtigste Sache ist ausdauerndes und unermüdliches Üben. Wirklich, es gibt nichts als das Üben und Schüler des Tai Chi Chuan, Männer wie Frauen, jung und alt, werden die bestmöglichen Resultate erzielen, wenn sie es das ganze Jahr aufrechterhalten." (Yang Style Taijiquan, 1991, Morning Glory Publishers, Peking, S. 10)

Ma Yueliang: "Unter Ausdauer ist zuerst die Beharrlichkeit zu verstehen. Ob strenge Kälte oder drückende Hitze, man sollte stets regelmäßig üben. Das ist ein Prozeß zur Prüfung des Charakters und der Willensstärke der Lernenden." (Wu-Stil Tai Chi Chuan, 1996, Mach:Art, Ratingen, S. 13)

Ma Jiangbao: "Ausdauer bedeutet Beharrlichkeit und Regelmäßigkeit über einen längeren Zeitraum. Nur wenn wir regelmäßig üben, können wir von Tag zu Tag besser werden. (Tai Chi Chuan - das Wesen einer traditionellen Kunst, 1998, Mach:Art, Ratingen, S.46)

Diese Aussagen stehen in direkter Linie zur allgemeinen chinesischen Unterrichtsform, welche auch heute noch den alten Traditionen folgt:

"Allen westlichen Einflüssen zum Trotz verläuft z.B. der Lernprozeß (in China, d.V.) immer noch relativ ganzheitlich; hierbei genügt es nicht, daß ich nur den Kopf in die Materie stecke, vielmehr muß ich mit Haut und Haar "eintauchen". Der Königsweg dazu ist nach wie vor das Auswendiglernen, das Anfangs zwar höchst mechanisch erfolgt, in dessen Verlauf das Erlernte aber in immer tiefere Schichten einsickert, bis es schließlich Teil meines Ichs geworden ist, aus mir lebt - und damit erst als "erkannt" und "begriffen" gelten darf. (Weggel O., Die Asiaten, 1990, C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung, München S. 193)

Ziel dieses Prozesses ist die alte chinesische Forderung nach: Zhi xing wei yi (Wissen und Handeln sind eins), also die Einheit von Wissen und Handeln, wie sie z.B. auch im Zen-Buddhismus gefordert wird. Doch wie aktuell ist diese Unterrichtsform für einen modernen westlichen Tai Chi-Schüler?

Auch wenn im Westen, spätestens seit der Reformpädagogik, beim Lernen meist andere Unterrichtsformen im Vordergrund stehen, ist man sich einig, daß auch das Üben und Wiederholen von Erlerntem notwendig ist:

"Denn auch bei der Umsetzung didaktisch-methodischer Erkenntnisse gilt, daß die einmal gewonnene Einsicht keineswegs ausreicht: Was praktisch wirksam werden soll, muß regelmäßig wieder "hervorgeholt" und neu überdacht (d.h. "wiederholt") werden, und vor allem muß es im Unterricht immer wieder kreativ in Handlungen umgesetzt (oder mit einem anderen Wort "geübt") werden." (Heyman, 1998, Pädagogik Heft 10, Pädagogische Beiträge Verlag GmbH, Hamburg, S. 7)

Reine Aufnahme von Information reicht nicht aus. Momentane Erleuchtung garantiert keineswegs spätere Verfügbarkeit. Dies gilt im besonderen für das Erlernen von Fertigkeiten. Es ist nicht wirklich schwer eine komplexe Tai Chi-Bewegung intellektuell zu verstehen. Verstehen bedeutet aber nicht, daß man in der Lage ist die Vorstellung motorisch umzusetzen. Damit ist die Bewegung weder gelernt und erst recht nicht dauerhaft gelernt. Das erarbeitete Wissen muß durch Üben in aktive Bewegung konsolidiert werden. Erst durch regelmäßiges Üben können sich Fähigkeiten herausbilden und entwickeln. Aus der Fähigkeit entwickelt sich langsam wirkliches "Können". Wissen und Handeln wird eins.

Wenn Üben also ein unverzichtbarer Bestandteil des Lernens ist, ist es wichtig, es interessant und motivierend zu gestalten. Um sich vom bloßen Drill zu entfernen sollte die zu wiederholende Prozedur deutlich erklärt werden und es eine innere Vorstellung geben, auf was bei der Übung geachtet werden soll. Der Lehrer sorgt bei jeder Aktion für unmittelbare Rückmeldung sowie eine immer wieder erneute Bewußtmachung der entscheidenden Kriterien und damit zugleich für eine Reflexion der mentalen Kontrolle und der inneren Vorstellungsbilder. Dieses Lernverhalten verwenden Kinder oft auch ohne äußeren Druck und Lehrer, wie z.B. beim Fahrradfahren, Ball- oder Telespielen. Rein zeitlich nimmt das Üben hier einen großen Raum ein, bleibt jedoch meist unterbewußt oder wird als natürlich empfunden und mit viel Freude und Ehrgeiz durchgeführt.

Analog fühlt man sich bei einem guten Tai Chi-Unterricht - ganz gleich ob in Ost oder West. Die fortwährende wiederholte Übung einer einzelnen Bewegung oder der ganzen Form führt, interessant unterrichtet, eben nicht zu Drill und Langeweile, sondern zum motivierten Lernen mit hoher Konzentration und anschließendem "Können". Die Unterrichtsform des "Übens und Wiederholens" ganz in chinesischer Tradition ermöglicht so nicht nur Verstehen, sondern auch ein "Einswerden" mit den Lerninhalten.